Frechen

Ich frage mich, was das wohl alles für ein Gestrüpp ist. Ich würde gern die lateinischen Namen der einzelnen Pflanzen wissen, die sich auf diesem Stück Wiese so vordergründig chaotisch ausbreiten. Ich stehe auf dem Weg von Köln nach Frechen. Eine Gegend, in der es nicht mehr gibt als angedachtes Industriegebiet. Lagerhallen sind es eventuell, oder Lastkraftwagengaragen, die hier geplant werden. Vielleicht. Glasscherben kreuzen meinen Weg, Geröll und zurückgelassene Reste von Straßenbaumaterial.
Ich erhasche die ungläubigen Blicke aus den vorbeisausenden Autos. Es scheint ein merkwürdiges Bild zu sein, wie ich hier mit meinem Fahrrad stehe. Man erwartet in dieser unwirklichen Gegend keine Menschen. Die Natur scheint hier, zwischen all dem Asphalt und Teer, endlich mal in Ruhe gelassen worden zu sein. Dort, wo am meisten Begradigung und rücksichtsloser Straßenbau geschah, ist hemmungslosester Wildwuchs entstanden. Allein, ich bin nun mal ein Stadtmensch und habe mich auch in meiner Schulvergangenheit kaum für Fauna interessiert. Ich würde sonst jetzt vielleicht begeistert von meinem Fahrrad herab steigen und mit einer Schere bewaffnet einige unscheinbar aussehende Pflanzen von ihren Wurzeln abtrennen, um sie später zu Hause in Bündeln über dem Herd aufzuhängen. Ich hätte zu jeder erdenklichen Krankheit ein Kraut zur Hand und würde sagen: „dieses eine Kraut, das für Dich, lieber Patient, so aussieht wie ein Scheißdreck, wird Dich, lieber Patient, von deinen Leiden erlösen!“ Man würde mich für meine Heilkunst lieben! Und man würde fragen, aus welch entlegenem Winkel der Welt ich diese kostbare Heilpflanze entwendet hätte. Ich aber würde nur denken: "Frechen. Mein Geheimnis!"
Das ist aber bloß ein Wunschtraum, den ich während eines Bruchteils der Sekunde habe, in der ich versuche, den Namen der vierspurigen Straße zu erkennen, der auf ein Schild aufgedruckt worden ist. Straßenschilder sind in solchen Gegenden eher unerwünscht. Hier werden größere Schilder aufgestellt. Die geschwinden Blicke aus den Windschutzscheiben der Transportunternehmen dieser Welt verlangen große Buchstaben. Und mit ihnen werden Städtenamen gebildet. Keine Straßennamen. Überhaupt ist hier alles groß. Und die Wege weit. Man fühlt sich auf eine Art verloren und frei zwischen Wegweisern und Gestrüpp. Gleich der Natur, die sich ihren Weg durch den Beton bahnt, unbeaufsichtigt durch richtende Hände, in diesem Raum zwischen den Städten, der so existieren muss, damit sich die Zivilisation an anderer Stelle komprimieren kann. Von hier aus erscheint sie ungenau und trügerisch, die Gesellschaft. Dort, wo Menschen auf engerem Raum leben müssen, werden sie sich immer eine Art Traumwelt basteln, in der sie sich selbst belügen können. Wer soll es ihnen auch verdenken?! Die unerträgliche Nähe zu Anderen macht ja jeden irgendwann krank. Das Reale hat aber hier sein Zuhause, zwischen Frechen und Köln, fern der engen Straßen, in denen die Menschen hausen.
Ich blinzele das seltene Straßenschild an, kann aber nichts darauf entziffern. Deshalb weiß ich auch nicht, ob ich überhaupt noch auf dem richtigen Weg bin. Aber ich sehe bereits in der Ferne den nächsten McDonalds. Ich schwinge mich auf mein Fahrrad und strenge mich an. Wär doch gelacht.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen