Übertragungen

Nach dem Urlaub ist es immer schwer sich, in den heimischen Gefilden hart aufschlagend, zu einem glücklichen Menschen zu denken. Aber diesmal ist es irgendwie einfacher als sonst. Keine Ahnung woran das liegt. Vielleicht an der Güte des Urlaubs, vielleicht an der positiven privaten Situation, die mich bescheint wie warmer Sonnenschein nach einem Jahrhundert nasskalten Regens. Die S-bahn stinkt garnicht so schlimm und die Menschen darin scheinen auch nicht suizidgefährdet. Sehr schön! An der Haustür angekommen, ist der Schlüssel für selbige besonders leicht hinter dem äußeren Reißverschluss der eben noch als Handgepäck klassifizierten Tasche zu finden. Sehr gut! Im Hausflur dann macht sich aber Verwunderung breit: Zieht schon wieder einer aus? Haben doch erst in dem Monat, in dem wir abreisten, in drei Wohnungen die Mieter gewechselt! Missmutig dreinblickende Männer heben Kartons die Treppe hinunter und versperren uns den Weg. Unsere Koffer müssen erstmal warten!
Nachdem wir später unser Gepäck geleert haben und nichts Essbares mehr in unseren Schränken finden können, entscheide ich mich für einen Gang in den Supermarkt. Auf der Treppe begegne ich einem zerknirschten Menschen, den ich kenne: Zuletzt noch sah ich ihn in einer der neu bezogenen Wohnungen mir ein Bier reichen. Eine kleine Einweihungsparty, zu der alle Bewohner des Hauses eingeladen waren. Seine Freundin, eine gut verdienende Rechtsanwältin, die mir ungefragt ihre neuen Vorhänge im Schlafzimmer zeigte, die „dichtesten“, die sie finden konnte, schien die Kommunikativere von den Beiden. Auch unser Schlafzimmer geht in den Hof hinaus und hinter meinem verständnisvollen Lächeln verstand ich ihre ausufernde Beschreibung als dezenten Hinweis darauf, dass unsere Vorhänge unvollständig seien, ja, wir sogar von ihrer Seite des Hinterhofes aus zu beobachten wären, wenn wir die Dinge tun würden, für die ein Schlafzimmer im allgemeinen dient. Ich kann mich getäuscht haben, aber trotzdem fiel mir auf, dass mich die detaillierte Einführung in das Wesen und die Funktion ihrer Vorhänge nicht im geringsten interessierte, mir es sogar ein wenig peinlich war, in ihrem Schlafzimmer zu stehen und die von ihr viel gerühmten Produkte einer bekannten schwedischen Möbelfirma bewundern zu müssen.
Die freundliche aber ständige Schweigsamkeit ihres Freundes an diesem Abend schien aber kein normaler Zustand zu sein, denn während unserer Begegnung auf der Treppe ergreift er das Wort als erster- mein Blick will eigentlich nicht mehr als „Hallo“ sagen, doch er antwortet auf meine nicht gestellte Frage. „Wir haben uns getrennt!“

Das ist natürlich für ein Paar das erst vor kurzem eine Wohnung frisch bezogen hat kein idealer Zustand. Das wird wohl jeder begreifen, der irgendwann mal umgezogen ist. Mein mitleidiges Lächeln ist mir peinlich, da ich den guten Mann ja kaum kenne. Und so suche ich in meinem Kopf nach einer nicht allzu dumm klingenden Wendung, einer Floskel, die es mir ermöglicht irgendwas zu sagen, das ihn und mich selbst nicht als vollkommene Idioten da stehen lässt. Wir nicken uns eine Weile bedeutungsschwanger zu und suchen nach Worten, die Abhilfe aus unserer unangenehmen Situation bieten könnten. Denn letztlich weiß ich ja, dass er weiß, was ich weiß: Es gibt nichts zu sagen, denn unsere Bekanntschaft beschränkt sich auf Oberflächlichkeit. Dennoch breche ich mutig das Schweigen mit „Das tut mir sehr Leid!“ Ich hätte natürlich auch „wahnsinnig Leid“ sagen können, aber das kommt mir zu distanzlos und gerade in Zusammenhang mit dem Verlassen werden sollte man den Hinweis auf krankhafte psychische Zustände eventuell vermeiden. Man weiß ja nie...
Immerhin, diese Worte fallen aus meinem Mund wie ein mit Blei gefüllter Rettungsanker, denn seine Entgegnung ist vorprogrammiert: „Geht schon!“
So schrecklich konventionell diese Unterhaltung, so soll es auch mein Abschied sein! Ich will gerade die Hand zum Abschiedsgruß heben, da geschieht etwas sehr Merkwürdiges. Er tut etwas, das die Situation in ihrer Unerträglichkeit verlängert. Er sagt: „DAS WIRD SCHON WIEDER!“ und klopft mir dabei brüderlich auf die Schulter, als wenn ICH der Verlassene wäre - als wenn er sich wünschen würde, ich hätte diese Form des Beileids aus meinem armen verzweifelten Hirn hervorgekramt, um die gesellschaftliche Barriere zwischen uns nieder zu reißen, ja, um unser beider Männersein als Anlass zu nehmen, die Übertragung, oder zumindest die Teilung des Trennungsschmerzes anzubieten und nun muss er, nachdem ich mich zu dieser Geschmacklosigkeit in keinem Falle hinreißen lassen werde, es eben selbst sagen: Die Heilungsfloskel. Ich habe noch nicht wirklich begriffen, was da passiert, da sprudelt es wie automatisch aus meinem blöde grinsenden Mund:
„Ja sicher, vielen Dank!“
Dann drehe ich mich nur mehr völlig irritiert um und gehe die Hand zum Gruß gehoben aus der Haustür. Erst zwanzig Meter später begreife ich, was da gerade passiert ist und laufe knallrot an.

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